Rehe als Agenten – wo führt das hin?

Die erfolgreiche Etablierung von Mischbaumarten ist ein zentraler Baustein zur Stabilisierung von Waldbeständen. Dabei können verschiedene Hindernisse auftreten, darunter standortspezifische und klimatische Einschränkungen sowie finanzielle Restriktionen. Insbesondere auch ein erhöhter Verbiss durch Schalenwild verändert die Wuchsdynamik und führt zu einer verzerrten sowie potenziell unerwünschten Entwicklung des Waldbestandes. Dies beeinflusst in der Folge die Bereitstellung von Ökosystemleistungen für den Menschen und führt zu zusätzlichen Kosten.

Was passiert im Waldbestand bei Wildverbiss?

Der Verlust des Leittriebs durch Wildverbiss führt unmittelbar zu einer geringeren Höhe der Verjüngung und zu reduziertem Zuwachs. Daraus entsteht für die betroffenen Pflanzen ein direkter Nachteil gegenüber unverbissenen Konkurrenten. Die von Wildtieren bevorzugten Baumarten verlieren dadurch erheblich an Konkurrenzkraft in der Verjüngungsphase und gehen in der weiteren Bestandesentwicklung oft unter. Dieser Konkurrenznachteil setzt sich ohne waldbauliche Eingriffe über die gesamte Bestandesentwicklung hinweg fort, falls der betroffene Baum nicht vorzeitig ausfällt. Langfristig kann dies zu einer verzögerten, aber deutlichen Veränderung der Baumartenzusammensetzung führen.

Simulationsmodelle bieten wertvolle Unterstützung, um bereits heute mögliche Szenarien für die zukünftige Waldentwicklung zu analysieren. Mithilfe eines Waldwachstumsmodells und festgelegter Baumarten-Präferenzen für den Verbiss durch Schalenwild konnten wir Auswirkungen unterschiedlicher Wilddichten in Waldbeständen simulieren. Dabei wurde die spätere Baumartenzusammensetzung sowie die Höhenentwicklung der einzelnen Baumarten untersucht. Verschiedene Entwicklungsstufen des Modellbestandes (zusammengesetzt aus jeweils gleichen Anteilen der Baumarten Fichte, Tanne und Buche) wurden bewertet, um die Auswirkungen unterschiedlicher Wilddichten, inklusive einer Referenzfläche ohne Wildeinfluss, zu quantifizieren.

Wie könnte sich ein Waldbestand unter Wildeinfluss entwickeln?

Zu Beginn der Selbstausdünnungsphase, in der die natürliche Konkurrenz zwischen Bäumen zum Absterben schwächerer Individuen führt, zeigen unsere Ergebnisse bei selbst geringen Änderungen der Wilddichte schon deutliche Verschiebungen in den simulierten Baumartenanteilen. Die Fichte, die vom Schalenwild weniger stark verbissen wird, nimmt mit steigender Wilddichte an Stammzahl- und Standflächenanteilen zu. Im Gegensatz dazu sinkt der Anteil der Tanne, die aufgrund ihrer Attraktivität für Rehwild stark beeinträchtigt wird. Die simulierte Entwicklung der Buche ist uneinheitlich: Bei moderatem Verbissdruck kann sie ihre Anteile im Bestand ausbauen, da sie von den Verlusten der Tanne profitiert. Bei hohem Verbissdruck verzeichnen auch Buchen Wachstumsverluste. Die Analyse der Baumhöhenentwicklungen zeigt, dass insbesondere die Tanne als bevorzugt verbissene Baumart erhebliche Wachstumsverluste erlitt, was langfristig zu einer dauerhaften Unterdrückung führt.

Detaillierte Ergebnisse und weiterführende Analysen sind im Forschungsartikel [1, Evaluating dynamic tree-species-shifting and height development caused by ungulate browsing in forest regeneration using a process-based modeling approach] sowie in zwei AFZ-Artikeln [2, 3] veröffentlicht.


Was bedeutet das für Waldbestände? 

Die Ergebnisse der Simulationsstudie verdeutlichen, wie Änderungen in der Wilddichte waldbauliche Zielsetzungen sowie den damit verbundenen finanziellen und zeitlichen Aufwand erheblich beeinflussen können. Besonders stark von Verbiss betroffene Baumarten, wie die Tanne, erfordern daher konsequente jagdliche Strategien zur Regulation der Wilddichte, um das Ziel einer stabilen Baumartenmischung zu gewährleisten. Der Modellversuch zeigt zudem, wie die Fichte die beiden anderen Baumarten überwächst und dauerhaft unterdrückt. Dies ist vor dem Hintergrund der problematischen Eignung der Fichte im Klimawandel eine kritisch zu sehende Entwicklung. 

Die Baumartenmischung in der Verjüngungsschicht beeinflusst nicht nur das Wachstum der Bäumchen, sondern auch das Äsungsverhalten des Rehwilds – ein wesentlicher Faktor für die zukünftige Waldentwicklung. Mithilfe eines sogenannten Agenten-basierten Modells lassen sich solche Zusammenhänge detailliert abbilden, wodurch sich der Anteil verbissener Pflanzen besser untersuchen lässt. Auf dieser Grundidee aufbauend entwickeln wir ein Agenten-basiertes Modell zur Simulation des Habitat- und Äsungsverhaltens individueller Rehe (den „Agenten“ im System). Rehe werden als Individuen mit verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten modelliert, sammeln Informationen über den umgebenden Waldbestand und reagieren auf Basis ihrer Bedürfnisse. In Kombination mit einem Waldwachstumsmodell soll dieser Agenten-basierte Ansatz helfen die Auswirkungen auf die Baumartenentwicklung zu bewerten. Ziel ist es, im Rahmen unseres Teilprojekts ein bestandesspezifisches Ausfallrisiko sowie die daraus resultierenden Einbußen von Ökosystemleistungen zu ermitteln und mit Daten aus realen Beispielflächen zu vergleichen. Die Ergebnisse können als Grundlage für die Ableitung praxisorientierter Empfehlungen dienen, um nachhaltige Wilddichten und Mischungsziele zu gewährleisten.


Text: Dominik Holzer, Isabelle Jarisch und Thomas Knoke

Literatur

[1] DOMINIK HOLZER, KAI BÖDEKER, WERNER RAMMER, KAI BÖDEKER, THOMAS KNOKE (2024): Evaluating dynamic tree-species-shifting and height development caused by ungulate browsing in forest regeneration using a process-based modeling approach, Ecol. Modelling 493(1):110741 https://www.researchgate.net/publication/380700582_Evaluating_dynamic_tree-species-shifting_and_height_development_caused_by_ungulate_browsing_in_forest_regeneration_using_a_process-based_modeling_approach)

[2] DOMINIK HOLZER, JONATHAN FIBICH, WERNER RAMMER, KAI BÖDEKER, THOMAS KNOKE (2024): Dynamische Waldentwicklung bei verschiedenen Verbissintensitäten, AFZ - Der Wald 17/24, 24-29 https://mediatum.ub.tum.de/doc/1754085/1754085.pdf 

[3] THOMAS KNOKE, DOMINIK HOLZER, JONATHAN FIBICH (2024): Beschränkung waldbaulicher Handlungsspielräume durch Rehwildverbiss, AFZ - Der Wald 17/24, 30-32 https://mediatum.ub.tum.de/doc/1754086/1754086.pdf